Sonntag, 2. Februar 2014

Die neuen Bürgersteige

Gedanken zum öffentlichen Raum

Nach all dem Besorgniserregenden zur Entwicklung des politischen Systems in Taiwan und seiner freiheitlichen Gesellschaft, gibt es auch Positives vom letzten Aufenthalt zu vermelden. Erkennbar bemüht sich die Verwaltung in Taiwan systematisch, eine ökologischere und für die Menschen kostengünstigere Mobilität zu ermöglichen und alle daran teilhaben zu lassen. Dazu zählen auch diejenigen, die keinen Führerschein haben oder bekommen können, beziehungsweise für die der Kraftfahrzeugbesitz und die Treibstoffkosten eine finanziell nicht zu nehmende Hürde darstellen.

Überall entstehen neue Bürgersteige, angefangen von den geschäftigeren und dichter bebauten Stadtgebieten, und die Infrastruktur für den Fahrradverkehr wird ausgebaut. Dies ist sehr erfreulich. In Kaohsiung schafft dies zusammen mit den erst vor wenigen Jahren eingerichten Metrolinien ein völlig neues Erleben der Stadt.

Hauptstraße in einem Vorort von Kaohsiung – Die geschlossene Asphaltdecke zwischen den Häuserzeilen ist für zwei Fahrspuren und einen Seitenstreifen je Richtung abmarkiert. Parkende Lieferwagen, Autos und Motorroller sowie Werbeaufsteller der benachbarten Läden und Geschäfte blockieren in der Regel den Weg der Fußgänger. Angesichts der Verkehrsdichte ist das dann erforderliche Ausweichen auf die Fahrspuren durchaus mit einem Gefühl verknüpft, sich in eine Gefahrensituation zu begeben.

Bereits für kurze Wege wird der Motorroller, der Scooter, benutzt, weil dies einfach bequemer ist und ein subjektives Gefühl von Sicherheit, vielleicht durch das höhere Fluchtpotenzial des Vehikels, schafft. Um den Verbrauch des teuer importierten Kraftstoffs zu reduzieren, die Luftqualität zu erhöhen und damit auch Krankheitskosten sowie die Unfallschäden im volkswirtschaftlichen Maßstab zu senken, bietet es sich an, die Voraussetzungen zu verbessern, um mehr Wege zu Fuß zu erledigen.

Dazu zählt die Einrichtung eines sicheren Raumes für Fußgänger und der Bau von abgesetzten Bürgersteigen. Wo dies in Taiwan geschieht, werden auch Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes ergriffen, so durch eine ansprechendere, designorientierte Straßenbeleuchtung und eine Begrünung mit Bäumen und Beetbepflanzungen. Die Kraftfahrzeuge parken danach am Fahrbahnrand in größerer Distanz zu den Gebäudefassaden, was den Nutzwert für das Wohnen ebenfalls verbessern dürfte.

Neue Bürgersteige, Straßenbäume und Grün, Designleuchten und Parkregelungen – Das Beispiel auch aus Kaohsiung zeigt, wie groß der Gewinn in der Straßenraumgestaltung sein kann. „Sein kann“, wenn da nicht die Zeitgenossen wären, die in der veränderten Gestaltung des öffentlichen Raumes erst einmal die Chance sehen, ihren eigenen privaten Flächenbedarf erweitert abzudecken.

Fahrzeugkühler und -hecks, geparkte Motorroller und Fahrräder, die aus Gründen der Enge und Bequemlichkeit nicht unter das Haus geschoben werden, wirksam aufgestellte Werbefahnen und -aufsteller, Topfpflanzen, Öfen zum Verbrennen des Opfergeldes, Werkzeuge und Utensilien aus den ansässigen Geschäften und das ganze sonstige Gerümpel beginnen schon wieder den freien Weg durch die Stadt einzuschränken. Die durchkonzipierten Parkregelungen mit dem Freihalten des Sichtbereiches vor dem Zebrastreifen aus Gründen der Verkehrssicherheit werden vom Falschparker einfach ignoriert.

Woran liegt das nur, dass ein guter Ansatz so schnell „taiwanisiert“? Sind das subtropische Klima oder die Ursprünge in einer Agrargesellschaft der Grund, umgebende „fruchtbare“ Freiflächen in die private Nutzung mit einzubeziehen und sich nicht auf das abgrenzte häusliche Eigentum zu beschränken? Sind es philosophisch-religiöse Einstellungen aus Konfuzianismus, Buddhismus oder Taoismus, die es nahe legen, der Allgemeinheit den Weg zu blockieren? Jedenfalls gibt es offensichtlich große Unterschiede zum römisch-germanischen basierten Denken in Deutschland über die Nutzung des öffentlichen Raumes.

1 Kommentar:

  1. Ich war schon mal in Kaoshiung und anderen Städten Taiwans und muss sagen, dass das "europäische Spazierengehen" für Taiwaner ungefähr so exotisch ist wie das ständige Fotographieren der asiatischen Besucher in Deutschland.
    Schade eigentlich, dass jeder Geschäftsinhaber den Bürgersteig und die Straße vor seinem Haus als sein privates Eigentum betrachtet, das er nach Belieben zustellen darf. Mit Kinderwagen ist es das reinste Hindernislaufen. Dabei ist ansonsten Taiwan so schön.

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